Robert Macfarlane „Im Unterland“

Endlich lese ich nun ein Buch des „großen“ Robert Macfarlane. Er ist wirklich einer der präsentesten Naturschreiber und wenn das Buch eines talentierten Neulings beworben werden soll, dann bekommt es ein Vorwort von Robert Macfarlane.
Nach zahlreichen anderen Büchern bin also auch ich bei ihm angekommen. Nicht dass ich ihn auf meiner Leseliste mutwillig nach hinten geschoben hätte, das gewiss nicht, aber ich wollte erst ein paar der „alten“ Autoren lesen, um einen Gesamteindruck vom Thema Nature Writing zu bekommen. Nun also „Im Unterland“.

Nach den ersten Kapiteln wird mir klar, dass „Im Unterland“ eigentlich einen Sammelband aus 11 Büchern ist. Jedes einzelne nur 20 bis maximal 40 Seiten lang, aber doch jeweils ein eigenes Buch. Für jedes der einzelnen Bücher holt sich Macfarlane einen Experten an die Seite. Auf diese Weise hat jedes dieser Bücher eigentlich zwei Autoren. Robert Macfarlane, der das Buch schreibt und der jeweilige Experte, der das Spezialwissen zu diesem Kapitel beisteuert.

Das erste Buch (Begräbnis / Höhlen in den Mendip Hills ]England]) und das dritte Buch (Unterholz / Pilze im Waldboden des Epping Forest [England]) beschäftigen sich mit Wald und Natur im Sinne von Nature Writing. Buch 2 (Dunkle Materie / Elementarteilchenforschung [Yorkshire, England]) ist eine wissenschaftliche Abhandlung über Bergwerke und Atomphysik.

Die Idee des Sammelbandes ist gut und auch die Umsetzung mit Spezialisten zu jedem Thema ist überzeugend. Mir ist die Auswahl der Themen allerdings zu vielfältig. Auch fehlt mir eine Ankündigung zu diesem Vorgehen. Ohne den gezielten Wunsch etwas von Robert Macfarlane zu lesen, hätte ich das Buch nach der Hälfte zur Seite gelegt – und zwei der besten Texte verpasst: Gletscherschmelze und Atomendlager. Ein halbsolanges Buch mit der Konzentration auf weniger Themen hätte mir besser gefallen. Die einzelnen „Bücher“ dieses Buches sind in sich abgeschlossen und können eigenständig gelesen werden. Ich empfehle daher, gezielt diejenigen Kapitel auszuwählen, die dem persönlichen Interesse entsprechen. Mir haben die Bücher 1, 9+10 und 11 am besten gefallen.

1 Begräbnisse / Mendip Hills (England)
Juninachmittag. Ein letzter kurzer Arbeitstag vor dem langen Feiertagswochenende. Endlich ist es warm und sonnig geworden. Das lange Wochenende bekommt dadurch etwas von Sommerferien. Mit Teekanne und Blaubeereis aus der Eisdiele sitze ich im Schatten und beginne „Im Unterland“ von Robert Macfarlane. Das Buch beginnt mit genau solch einem Sommertag, wie heute einer ist. Wie passend!
Die Mendip Hills bestehen aus Kalk, der im Laufe der Jahrhunderte vom Wasser ausgewaschen und unterhöhlt wurde. Macfarlane schildert mehrere seiner eigenen „Ausflüge“ in die Welt der Mendip-Höhlen. Eine tolle Kombination aus den eigenen Erlebnissen während der Klettertouren unter der Erde und dem Fachwissen zu Gestein und den Höhlenfunden.
Schon vor 10.000 Jahren nutzen die damaligen Menschen die Kalksteinhöhlen als Orte für ihre Toten. Trotz der kargen Lebensweise der damaligen Menschen, gaben sie sich große Mühe, ihren Toten einen guten Platz zu schaffen. Mir wird beim Lesen jedoch bewusst, dass alle Erkenntnisse über die dort bestatteten, ihre Lebensverhältnisse und ihren Tod darauf beruhen, dass wir ihre Gräber nicht respektierten und unseren Wissensdurst für wichtiger halten als die Hochachtung der längst vergangenen Generation.

9+10: Das Blau der Zeit / Schmelzwasser (Grönland)
In den Büchern 9 und 10 geht es um das Leben in Grönland und die Veränderung der Gletscher durch den Klimawandel.
In geologischen Zeiträumen betrachtet wirkt die Vorstellung, der Mensch herrsche über die Erde, raffgierig und trügerisch. … In diesem Augenblick scheint mir der Begriff Anthropozän bestenfalls Einbildung zu sein, schlimmstenfalls gefährliche Eitelkeit.
Vielleicht ist es die völlige Andersartigkeit der Landschaft, die diese Gedanken stimuliert. Einige Seiten später beschreibt er, wie der Klang des Dorfes, in dem er zu Gast ist, sich durch den Klimawandel verändert. Der Gletscher zieht sich immer weiter zurück. Die Sommer werden wärmer. Die Winter werden eisfreier. Das verändert nicht nur den Alltag (Jagd und Transportwege) sondern in diesem Fall auch die Akustik des Ortes.
Der Text zeigt immer wieder, wie lebendig ja fast schon eigenwillig das Eis der Gletscher ist. Es ist gar nicht die gefrorene Ödfläche, für die die Landschaften im Norden lange gehalten wurden.
Neben der Exkursion über den Gletscher, die an sich schon beeindruckend ist, stehen sogenannte Gletschermühlen im Zentrum des Kapitels. Ein Begriff, der mir völlig neu war. Ein gleichermaßen faszinierendes wie gefährliches Phänomen. Und zudem eines der vielen Puzzlestücke im großen Bild des Klimawandels. Gletschermühlen entstehen aus kleinen Senken auf der Gletscheroberfläche, in denen sich Wasser ansammelt. Dieses Wasser frisst sich im Laufe der Jahre tief in den Gletscher hinein und höhlt ihn immer weiter aus.

11: Atomares Endlager (Finnland)
Im letzten Buch bleibt Macfarlane im Norden, macht aber thematisch eine erneute Wendung. Anstatt Gletscher und Klimawandel geht es nun um Atomenergie und die Herausforderungen des Atommülls. Gerade wird in Deutschland wieder neu über die Atomkraft diskutiert. Sie sei doch klimaneutral und eine Alternative zu fossilen Brennstoffen. Jeder, der auch nur einige Seiten von Macfarlanes Text liest, schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, welch Größenwahn, Hochmut, Anmaßung, Hybris, Selbstgefälligkeit, Vermessenheit in der Anwendung der Atomkraft steckt. Allein schon die Idee, Atomenergie sei kein fossiler Brennstoff ist falsch. Vielleicht sollten die Befürworter der Atomenergie mal ein Ferienhaus neben einem Urantagebau mieten. Wem der Tagebau Rössing in Namibia zu weit ist, der kann auch gerne ins Erzgebirge zur „Wismut“ fahren. Die Wismut hat vielen Menschen Arbeit gegeben, viel Geld verdient und so viele Menschen mit Lungenkrebs geschädigt, dass es einen eigenen Namen dafür gibt: Schneeberger Krankheit (Lungenkrebs durch radioaktive Strahlung).
Während die Generationen vor uns Pyramiden, Kathedralen oder sagenumwobene Goldschätze hinterließen, verbuddeln wir dass giftigste Gift, das die Menschheit bisher erfunden hat und hoffen, dass nachfolgende Generationen alles unberührt lassen. Haben wir etwa die Grabesruhe der Pharaonen in ihren Pyramiden respektiert? Sämtliche Flüche der Pharaonen sind harmlos gegen die Büchse der Pandora, die wir rund um den Globus als Atommüllendlager vergraben.


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