Henry Beston „Das Haus am Rand der Welt“ [The outermost House]

Der Klappentext
September 1926. Henry Beston bezieht ein kleines Holzhaus am Meer, das er sich im Jahr zuvor hat bauen lassen, um dort seinen Urlaub zu verbringen. Geplant waren zwei Wochen, doch er bleibt ein ganzes Jahr; ein Jahr, in dem er seine Umwelt auf sich wirken lässt, sie untersucht und auf diese Weise verstehen lernt. Beston hält sämtliche Beobachtungen in Notizbüchern fest, er beschreibt das Gesehene und Erlebte farbig und detailliert: den Zug der Seevögel, den Rhythmus von Ebbe und Flut, die Formen der Dünen und der Wellen, die Geräusche der Brandung und sogar den Wandel der Gerüche im Laufe der Jahreszeiten.

Das Buch

„Ein Haus am Rande der Welt“ ist das erste Meeresbuch im Reigen meiner Naturbücher. Mir wird deutlich, wie sehr die Begriffe „Natur“ und „Wald“ für mich synonym sind. Ich lese gerne auch über das Meer und gleichzeitig ist der Begriff für mich eher mit Urlaub verbunden.
Beston gelingt es, an vielen Stellen die Natur und seine Verbundenheit mit ihr prosaisch zu beschreiben.
„Ein Jahr in einem Haus verbracht ist eine Reise entlang einem Wandkalender; ein Jahr, in der freien Natur verbracht, ist der Vollzug eines großartigen Rituals.“
„An kühlen Septemberabenden wie derzeit ist das gleichmäßige, waagerecht einfallende, stille Licht der Dämmerung am Himmel ebenso herbstlich gefärbt wie die Erde darunter.“
Bei allen nachdenkenswerten Gedanken und den für mich als Wald-und-Flur Mensch ungewohnten Meeresschilderungen, bleibt es jedoch ein seltsam mühsames Lesen. Warum ist das so? Was bremst mich, anstatt Begeisterung für Meer und Strand zu entfachen? Ich achte genauer auf jeden einzelnen Satz.
Und ja, es sind die Sätze. Sie sind im deutschen genauso mühsam wie im amerikanischen Original, das ich zum Vergleich nachschlage. Für das Original mangelt es mir an Vokabeln. Worte wie Fanggründe oder zweimastiger Schoner benutze ich in meinem Alltag einfach zu selten. Doch selbst im Deutschen, mühe ich mich durch viele von Bestons Sätzen:
„In der Düsternis hatte das Leuchtfeuer von Nauset einen rötlichen Stich, und mit jeder Drehung warf es sein Licht auf eine Welt, die wie eine Scheibe geformt und zwischen der dunklen Masse der Erde und der tiefhängenden schwarzen Wolkenschicht eingepfercht war.“
Puh, nach solch einem Satz fühle ich mich erschöpft und genauso eingepfercht wie das Leuchtfeuer von Nauset.
Beim Lesen der zahlreichen Seiten über Wellen und Brandung fällt mir Emily Carrs Satz über ihr Schreiben wieder ein: „Ich kannte keine Regeln fürs Schreiben. Ich stellte zwei für mich selbst auf. Sie entsprachen in etwa meinen Prinzipien beim Malen: Komm so direkt zum Punkt wie möglich; verwende nie ein großes Wort, wenn ein kleines genügt.“
Mit Blick auf Bestons zahlreiche Worte möchte ich Carrs Satz ergänzen: „Verwende nie viele Worte, wenn wenige das gleiche aussagen“.

Das Nachwort

Das Nachwort beschäftigt sich intensiv mit der Einordnung von Henry Beston als Naturautor, ja sogar Forscher und Philosoph. Ich habe die Stellen, auf die sich das Nachwort bezieht, im Kontext des Buches gelesen und gerade diese Passagen waren es, die ich zügig überblätterte. Ja, er hat sich Gedanken darüber gemacht, wie ein Vogelschwarm „funktionieren“ kann, ohne dass es ein Leittier gibt, dass die Richtung vorgibt und dem alle anderen untertänigst folgen. Auch denkt er schon vor hundert Jahren darüber nach, dass unser Verständnis von Tieren über die Aspekte des unbeseelten, aber nützlichen Gegenstandes hinausgehen muss.
Aber ist das schon Forschung, die mit Descartes verglichen werden kann oder die Grundlagen für die heutigen Theorien zur Schwarmintelligenz liefert? Das ist mir doch etwas arg weit her geholt. Ist es denn nicht für jedermann gleichermaßen faszinierend zu sehen, wie ein ganzer Schwarm an Vögeln gemeinsam die Richtung wechselt und immer wieder neue Formen annimmt? Es ist eine Faszination, die der Naturautor in Worte bringt. Ihn deshalb gleich zum Wissenschaftler zu küren ist zu viel des Guten.

Mein Fazit

Da sitzt ein Mann am Meer und schreibt über Wolken und Strand und Vögel und Wellen. So richtig beeindruckend finde ich es leider nicht. Durch zu viele der Sätze kämpfe ich mich hindurch wie ein Schwimmer in der Brandung.
Kaum eines der Natur-Bücher aus der Zeit vor 1950 wird von seinem Verlag oder irgendeiner Institution nicht als das wegweisende und entscheidende Buch für die heutige Entwicklung des Schreibens über Natur eingeordnet. Mache ich den Fehler, die Beschreibungen der Verlage und professionellen Rezensenten ernst zu nehmen? Aber auch, würde ich es lesen, wenn es heißt „Da sitzt ein Mann am Meer und schreibt über Wolken“ anstatt des, auch dieses Mal wieder hervorgezerrten, „Begründer eines neuen Genres, des Nature Writings“?
Meine Beurteilung ist die eines Lesers und nicht die des Wissenschaftlers. Als Leser mag ich es auch die älteren Bücher des Nature Writings selbst kennenzulernen. Nicht alle diese Bücher gefallen mir persönlich. Das müssen sie auch gar nicht. Aber wenn ich ein eigenes Verständnis von diesen immer wieder zitierten Büchern habe, kann ich für mich selbst viel eher auch die aktuellen Texte einordnen, die sich bewusst auf Thoreau oder Beston oder White beziehen.


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