
James Rebanks beschreibt in „Mein englisches Bauernleben“ sehr anschaulich, wie er versucht, den Hof seiner Eltern aus einer harten Vergangenheit in eine wirtschaftlich profitable Zukunft zu bringen und gleichzeitig dabei die Fehler der modernen Agrarindustrie zu vermeiden. Gerade für einen Nicht-Bauern ist es lehrreich zu sehen, wie viel zu bedenken ist, was geht und was auch nicht geht, selbst wenn es für Städter im Bioladen völlig logisch klingt.
In seiner nordenglischen Heimat wurde James Rebanks 2021 für dieses Buch mit dem Wainwright Prize ausgezeichnet.
Das Bauernleben
Das Buch beginnt mit einem malerischen Bild aus der Kindheit. Keine Fantasie-Kindheit, sondern das echte tatsächliche Leben auf dem Bauernhof des Großvaters. Und doch schildert er mit wenigen Sätzen ein Bild, das den Leser vom Leben auf dem Land überzeugt. Ein Leben, das neben der harten Arbeit immer auch die Freude am Leben und dem mit den eigenen Händen erschaffenen enthält.
Von diesem Ausgangspunkt aus beginnt eine Reise durch die Jahrzehnte. Es ist viel Düsteres dabei, viel harte Arbeit und oft auch Existenznot. Und doch bleibt zwischen den Zeilen immer ein hoffnungsvoller Ton. Das Buch erinnert mich in seiner Art an Pinnegars Garten, nur dass Pinnegar die Erfindung von Reginald Arkell ist, während James Rebanks die Geschichten des Buches wirklich erlebt hat.
Das Buch besteht aus vielen, vielen kleinen Puzzlestücken. Nicht immer chronologisch angeordnet, aber beim Lesen empfinde ich es nie als sprunghaft. Im Gegenteil, jedes Puzzlestück ist angenehm und kurz zu lesen und meist denke ich, na ja eins noch. Und dann werden es doch drei oder vier.
Der Auftakt der Puzzlesammlung ist beim Notar. Jetzt ist Rebanks der Bauer. Ein Ziel, das er sich seit Jahren wünscht. Ein Ziel, das irre viel Verantwortung mit sich bringt. Denn nun muss er den Familienbetrieb über Wasser halten. Was als Gemüsekäufer so leicht aussieht „Der muss halt mehr Bio anbauen, wenn der Hof überleben soll“ ist längst nicht so einfach, wenn man zahlreiche fußballfeldgroße Äcker und Wiesen hat und damit immer noch ein Kleinbauer ist. Das ist es, worum es in diesem Buch geht: Wie kann ein Bauer eine Bauernfamilie das Land und die Tiere achten und trotzdem finanziell überleben, wenn rundherum Monokulturen für Hühner, Grashalme, Mais und Gerste entstehen.
Die Monokulturen stehen auf tönernen Füßen aus Chemie-Doping und himmelhoher Verschuldung, aber ein paar Jahre funktioniert es. Bis ein noch größerer Großbauer, sprich Agrarkonzern, mit noch mehr Chemie und noch mehr Geld die immer toteren Böden übernimmt. Im Prinzip ist das seit Rachel Carsons[1] „Der stumme Frühling“ klar, aber noch immer kaufen die Menschen lieber billiges Schweinefleisch, als die Natur, die wir angeblich alle so lieben, auch tatsächlich zu schützen. Carsons Buch ist von 1963. Und erst jetzt beginnen mehr Menschen die Natur nicht nur zu lieben, sondern auch zu schützen.
Das alte Bauernland samt der Tierwelt, die darin lebte, ist fast verschwunden. An seine Stelle trat ein industrialisiertes Agrarsystem, das an Größenordnung, Tempo und Leistung alles Bisherige in den Schatten stellt. Die neue Wirtschaftsweise ist ungeheuer produktiv und – wie wir heute wissen – ökologisch fatal. Je mehr Erkenntnisse wir darüber gewinnen, desto größer wird unser Unbehagen und Zorn angesichts dessen, was aus der Landschaft geworden ist.
Es kam so weit, dass unsereiner das Gefühl hatte, er müsse sich für seine Existenz als Landwirt entschuldigen. Nie hatte es das gegeben. Und mit Trauer und Scham erkannte ich, dass die Vorwürfe viel Wahrheit enthielten.
Und mir wurde plötzlich klar, wie eingeschränkt meine Entscheidungsmöglichkeiten waren, wie wenig ich wusste. Gleichzeitig musste ich herausfinden, wie ich unserem Land einen Ertrag abgewinnen konnte, ohne es zu ruinieren.

Sein Handwerk als Bauer lernt Rebanks vor allem von seinem Großvater. Ohne einen offiziellen Lernplan leitet der Großvater seinen Enkel fast unmerklich durch das bäuerliche Jahr. Im Buch sind die Szenen auf dem Hof des Großvaters ebenso unaufdringlich eingestreut. Ein einfacher, gar rückständiger Hof in den Bergen als ganz natürlicher Gegenpol zur immer schneller werdenden Entwicklung der modernen Bauern im Tal. Dort oben die Bodenbearbeitung zu Fuß und mit dem Pferd. Unten die Sicht auf die am PS-starken Traktor vorbeiziehende Landschaft. Es ist nicht überraschend, dass der direkte Kontakt zum eigenen Land eine andere Verbindung und eine andere Kenntnis schafft. Überraschend ist eher, wie viel sinnvoller diese alten Methoden sind, obwohl das Neue doch wissenschaftlich erforscht ist. Erforscht ja, aber eben von Wirtschafts-Wissenschaftlern und Agrarindustrie-Optimierern aber keine Natur-Wissenschaftler. [Natur im Sinne von ganzheitlichem Wissen über die Wesen und Dinge um uns herum und nicht nur welche Chemikalie ist billiger als Pferdemist]
Das Buch ist ein unbeabsichtigtes Lehrstück über die Permakultur. Stück für Stück zeigt Rebanks auf, wie durch immer modernere Methoden alles nur noch schlimmer wird: Mehr Schulden, weniger Artenvielfalt, schlechterer Boden. Permakultur etabliert viele der Dinge, die bis vor 50 Jahren über viele Jahrhunderte „normal“ waren. Das zeigt auch, dass Permakultur nichts Neues ist. Sie erklärt mit Worten von heute, was für frühere Generationen selbstverständlich war. Auch wenn sie sicher keinen wissenschaftlichen Beleg dafür hätten nennen können. Die Permakultur liefert diese Belege nun nach – und trotzdem ist sie noch immer etwas für merkwürdige Ökos.
Rebanks zeigt eine Welt von hart arbeitenden und gleichzeitig liebenswerten Menschen. Etwas verschroben, aber genügsam und durchaus fröhlich. Und wenn er nicht sagen würde, dass es Bauern aus dem letzten Jahrhundert sind, viele der Gedanken, könnten auch von heutigen Jugendlichen sein, die reparieren statt wegwerfen oder Brot selberbacken, weil sie sich der Klimakrise entgegenstellen oder sich bewusst gegen höher-schneller-weiter entscheiden. Rebanks Großvater nannte diese Lebensweise „ein ruhiges Leben“. Dem kann ich nur beipflichten. Das ist genau das, was ich auch suche: Ein Leben, in dem nicht nur der gehört wird, der am lautesten schreit: „Kauft billiges Schweinefleisch“ oder „Atomkraft ist Klimaneutral“. [Wie kann man eines von beiden auch nur für eine Millisekunde lang glauben?]
Die Wende
Zu Beginn des zweiten von drei Teilen ist Rebanks erst einmal nach Australien abgehauen, wie er es selber ausdrückt. Bisher bin ich davon ausgegangen, dass es mit ihm und dem Hof und dem Bauernleben ein gutes Ende nimmt, aber mir wird klar, dass dies nur meine Vorstellung ist, dass es an keiner Stelle so versprochen wurde. Ich bin also doppelt gespannt, wie es weiter geht.
Nach seiner Rückkehr sieht er die Herausforderungen der modernen Landwirtschaft umso deutlicher. Gleichzeitig gelingt es ihm in Worte zu fassen, weshalb der den alten Lebensstil seines Großvaters so schätze. Nur, dieser Lebensstil beginnt für immer verloren zu sein.
Obwohl Rebanks nun so, so viel versteht und weiß und mit eigenen Augen sieht, trotzdem schwankt er zwischen „Wie kann ich den Zug in die moderne Agrarindustrie gerade noch erwischen?“ und „Seid ihr alle des Wahnsinns, eure Felder tot zu spritzen und das Vieh zur Ertragsoptimierung in den Stall zu sperren?“.
Als Leser überrascht mich das sehr. Es ist doch alles so offensichtlich. Und nicht nur das, er selbst beschreibt diese Wahrheiten. Aber, und das mag der Unterschied zwischen Rebanks als Bauer und mir als Leser sein, ich muss nicht von meinem Bauernhof leben. Ich habe einen wohltemperierten Bürojob und wenn es mir die Tomaten verregnet, dann muss meine Familie trotzdem nicht hungern.
Rebanks Buch ist weiterhin lebendig und lesenswert. Nie fängt er an, sich zu wiederholen. Jede neue Geschichte bringt wieder neue Erlebnisse und Erinnerungen. Jede ist wieder spannend zu lesen. Und doch beginne ich mich mehr und mehr zu fragen, wann er endlich bei Fridays for Future anheuert oder zumindest ein Camp mit Umweltschützern auf seinem Land eröffnet. Doch nein, bei allem Wissen um den Schaden der Agrarindustrie bleibt er gefangen in dem Streben nach mehr Ertrag und sichererer Ernte. Vielleicht bleibt ihm keine andere Wahl. Es ist erschreckend dies von außen mitzuerleben.
Die Kritik
Dave Goulson sagt, dass ein Drittel der produzierten Nahrungsmittel verloren gehen und ein weiteres Drittel zur Mast von Nutztieren verwendet wird[2]. Nur ein Drittel dient der direkten Ernährung der Menschen. Die Menschheit wäre auch ohne chemische Ertragssteigerung locker zu ernähren. Man müsste nur auf Verschwendung und Fleischkonsum verzichten.
Die moderne Version der traditionellen Landwirtschaft ist nicht die Agrarindustrie mit internationalen Konzernen, sondern lokale Kreislaufwirtschaft und vegetarisches Ernährung.
Bereits zu Anfang des zweiten Teils zitiert James Rebanks Rachel Carson, doch auch im dritten und letzten Teil, den er selbst mit „Utopie“ überschreibt, sieht er Naturschützer, Ökos, Zugezogene und Städter noch als seine Feinde an. Wenn alle potentiellen Verbündeten im Kampf gegen die Agrarindustrie ausscheiden, wird es schwer, den eigenen Hof über Wasser zu halten.
Die Veränderungen zugunsten des Naturschutzes, die es dann schließlich doch gibt, gehen auf das Konto einer mutigen Aktivistin und Rebanks Vater. Die Aktivistin redet, nach einem verheerenden Hochwasser Hof für Hof mit den Bauern und überzeugt einige von Bachrenaturierungen und Grünflächen. Der Vater erkennt blitzschnell, dass die ohnehin fällige Erneuerung der Zäune ohne den Zuschuss der Renaturierungsinitiative unbezahlbar ist.
Was mich wirklich erschreckt ist, wie wenig Bauern offensichtlich über Pflanzen und Boden und Ökologie wissen. Auch ein Student der landwirtschaftlichen Hochschule, der den Hof besucht, nachdem dieser schon in der Umgestaltung ist, reagiert verwundert auf Blütenwiesen und empfiehlt das ganze Unkraut abzumähen, um die Produktivität des Hofes zu erhöhen. Wie ist es bloß möglich, den ganzen Tag mit Natur und Tieren zusammen zu sein und sie doch für reine Produktionsfaktoren zu halten?
[1] Das Buch „Der stumme Frühling“ von Rachel Carson hat in den U.S.A. zum Verbot von DDT geführt. James Rebanks bezieht sich mehrfach auf Carson.
[2] Dave Goulson im Interview zu seinem Buch „Die stumme Erde“. https://www.deutschlandfunkkultur.de/klimawandel-insektensterben-folgen-massenflucht-massensterben-100.html