Wer kennt sie nicht, die herrlich subversive Geschichte des Touristen, der einen dösenden Fischer darüber belehrt, wie er angeblich ein zufriedenes Leben erreichen kann. Während der Tourist große Reden hält, hat der Fischer das zufriedene Leben längst gefunden. Heinrich Böll schrieb diese „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ 1963 ganz ohne Heldenreise, Insta-Follower und MarketingMitSocialMedia-Seminare. Wie hat er das hingekriegt?
Seit einiger Zeit höre ich die Gespräche zwischen dem Herausgeber der Zeitschrift Text + Kritik, Heinz Ludwig Arnold, und Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Ich bin beeindruckt, was Autoren wie zum Beispiel Heinrich Böll, Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch zu sagen haben. Vieles davon gilt nach wie vor. Anderes ist wieder aktuell geworden. Was mich bisher am meisten überrascht, ist das Verhältnis zum Leser. Heinrich Böll reagiert auf die Frage, auf welche Weise die Leserschaft sein Schreiben beeinflusse mit völligem Unverständnis, er weiß gar nicht wie solch eine Frage gemeint sein kann. Er spricht davon, dass er bei einer Auflage von 15.000 Exemplaren etwa 10 Leserbriefe erhalten habe. Das war 1975. Damit ist klar, dass er aus sich selbst heraus schreiben und erschaffen musste. Der Leser war zwar da, aber nicht in dem permanenten Kontakt zum Autor, wie es heute selbstverständlich ist oder zumindest selbstverständlich erscheint.

Mittlerweile werden Bücher vor der Veröffentlichung ausführlich auf die Kompatibilität zur Generation Smartphone getestet und Heinrich Böll, der den Nobelpreis für Literatur erhalten hat, sagt, der Leser spiele für sein Schaffen keine Rolle. Das ist heute unvorstellbar. Es klingt vermessen, nicht die Chancen der modernen Kommunikation zu nutzen und dennoch, die Bücher von Heinrich Böll sind noch immer lesenswert und sie werden noch immer gelesen: Das 1961 erschienene „Irische Tagebuch“ war das allererste Buch des Deutschen Taschenbuch Verlages (dtv) und ist seit über 60 Jahren durchgehend lieferbar.
Plötzlich frage ich mich, ob das, was so vermessen klingt, nicht der bessere Weg ist: Der Autor schreibt das, was ihm wichtig ist. Er nutzt die Worte, die aus ihm selbst herauswollen. Natürlich braucht es ein Lektorat, aber braucht es die ständige Rückkopplung mit dem Leser? Wenn dies wirklich notwendig ist, um Erfolg zu haben, sprich gelesen zu werden, weshalb werden dann die Bücher von Böll, Dürrenmatt und Frisch noch immer verkauft, so ganz ohne Online-Marketing und Social Media?
Ich merke, wie es mir guttut, von den „Alten“ zu hören. Zu erleben, wie in einem über drei-stündigen Gespräch, ein ganzer Kosmos an Ideen, Gedanken und Zusammenhängen ausgebreitet wird. Das zu hören weitet meinen Blick. Ich starre nicht mehr gebannt auf Follower und Seiten-Aufrufe und kehre zu dem zurück, was mich und mein Schreiben ausmacht. Wenn ich Sätze lese wie „Das Zugfenster gibt der Verlorenheit des grauen Himmels Halt“ dann geht mir das Herz auf und ich weiß, das ist es, was ich auch machen möchte: Wörter zu solchen Sätzen zusammenzustellen. Es liegt noch ein weiter Weg vor mir, bis ich ein wirklicher Könner in der Kunst der Wörter geworden bin. Doch gerade wird mir klar, wie schön es auch ist, dass noch eine Wegstrecke vor mir liegt und ich noch weiter gehen schreiben kann.