Nan Sheperd: „Der lebende Berg“ – Eine erste Begegnung

Ich hatte gerade Annie Dillards „Pilger am Tinker Creek“ beendet, als mir immer wieder Nan Shepherds „Der lebende Berg“ begegnete. Ich war skeptisch ein weiteres hochgelobtes Buch aus dem gleichen Verlag zu lesen. Auch der Titel „Der lebende Berg“ erschien mir nicht sonderlich reizvoll. Vor allem der Artikel über Elise Wortley, die auf den Spuren von Nan Shepherd die Cairngorm Mountains durchwanderte [1] [2], und die englische Leseprobe des Buches haben mich dazu bewogen, es doch mit dem Buch zu probieren. Für die deutsche Version gibt es leider keine Leseprobe.

Ein schmales Bändchen, dem ein wuchtiges einleitendes Essay vorangestellt ist. Ich habe mir angewöhnt, solche Einleitungen oder auch Nachworte zuerst zu lesen. Bieten sie doch oft eine Orientierung zum Verständnis, die zumindest ich bereits beim Lesen brauche und nicht erst danach, wenn ich den Text ein erstes Mal mit fragenden Augen und stolpernder Zunge gelesen habe, um dann im Nachwort zu erfahren, was ich alle hätte entdecken können.

Robert Macfarlane ist sich in diesem Essay unsicher, wie er „Der lebende Berg“ beschreiben soll, ob es eher ein „feierliches Prosagedicht“ ist oder doch eine „geo-poetische Suche“. Der Blog „LiteratUrwald“ beschreibt dies viel verständlicher:
Wenn es jemanden gab, der sich in der Bergkette der so genannten Cairngorms im Nordosten von Schottland auskannte, dann war es wohl Anna Shepherd: 1893 in Aberdeenshire geboren und damit nicht weit von den mächtigen Bergen entfernt, entdeckte ‚Nan‘ bereits als Jugendliche ihre Vorliebe für Ausflüge dorthin. Ob bei Regen oder Schnee, bei Sonnenschein oder undurchdringlichem Nebel, es gab kein ‚falsches‘ Wetter, um sich die Stiefel zu schnüren, die Thermoskanne mit heißem Tee aufzufüllen und loszulaufen. Mal hatte sie dabei eine klare Route vor Augen, doch häufiger ließ sie sich vom Berg überraschen. [3]

Zum Glück findet auch Robert Macfarlane zu einfachen Worten zurück: „Der lebende Berg erzählt davon, wie Nan Shepherd im Laufe der Zeit lernte, ziellos in die Berge zu gehen, bloß um Zeit mit dem Berg zu verbringen, so wie man einen Freund besucht, zu keinem anderen Zweck, als Zeit mit ihm zu verbringen“. [4]

Das ist eine Beschreibung des Buches, die ich verstehe und die mich Lust haben lässt, das Buch zu lesen. Da gibt es kein Schlüsselerlebnis und keine Wildnis, die in jeder Rezension hervorgezerrt werden. Insgesamt machen sowohl das Vorwort als auch die Blogs, die ich befrage, Lust zu Lesen anstatt zu enttäuschen. Der Kontrast zu Annie Dillard könnte größer nicht sein. Das, was die Einleitung an philosophischen Bezügen und Hintergründen berichtet, mag im Wissen und Erleben von Nan Shepherd gegenwärtig gewesen sein. Ihr Buch hingegen kommt ohne die gedanklichen Verästelungen der verschiedensten Philosophen aus: „Auf einem Berg gibt es Augenblicke, in denen sich etwas bewegt zwischen mir und ihm. Ort und Geist mögen sich gegenseitig durchdringen, bis beider Natur verändert ist. Ich kann nicht sagen, was diese Bewegung ist, außer, indem ich sie erzählend nachvollziehe“[4].
Dies sind durchaus philosophische Gedanken. Und doch schafft sie es, nicht in unverständliche Mystik zu entschweben.

Eine gute Kurzzusammenfassung zu Nan Shepherd Leben und Werk bietet Petra Lohrmann auf ihrem Blog „Gute Literatur – Meine Empfehlung“:
Shepherd kam 1893 in der Nähe von Aberdeen zur Welt, dort lebte sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1981. Sie unterrichtete einundvierzig Jahre lang Englisch an der High School für Mädchen, unternahm ausgedehnte Reisen in alle Welt – vor allem aber wanderte sie tausende Kilometer durch die Cairngorms.
Zwischen 1928 und 1933 veröffentlichte sie drei Romane, gefolgt von einem Gedichtband 1934 – und dann nichts mehr. „Der lebende Berg“ entstand in den letzten Kriegsjahren, verschwand in der Schublade, und erschien erst 1977 bei der Aberdeen University Press.[5]


[1] Adventure: following in the footsteps of Scottish explorer Nan Shepherd

[2] In the footsteps of Nan Shepherd: Elise Wortley

[3] LiteratUrwald _ Klassiker des ’nature writing‘ – Teil I

[4] Nan Shepherd „Der lebende Berg“, Matthes & Seitz Berlin; 1. Auflage 2020.

[5] Gute Literatur – Meine Empfehlungen _ Nan Shepherd – Der lebende Berg


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