Emily Carr „Klee Wyck – Die, die lacht“

Emily Carr war eine kanadische Malerin. Sie lebte von 1871 bis 1945. In ihrem Buch „Klee Wyck“[1] beschreibt sie zahlreiche Besuche in bewohnten oder auch bereits verlassenen Dörfern der First Nations an der kanadischen Westküste. Das „offizielle“ Thema des Buches sind ihre Gemälde der Totempfähle und ihre Begegnungen mit den Angehörigen der First Nations[2]. Doch in den Texten steckt so viel Naturbeschreibung, dass „Nature Writing aus British Kolumbien“[3] den Inhalt ebensogut trifft. Emily Carr wird kaum als Naturautorin beschrieben. Dies mag daran liegen, dass ihr künstlerisches Werk als Malerin, ihre Kritik am Umgang mit den First Nations und ihr eigener Lebenslauf schon sehr verschiedenartige Themen abdecken. Nachdem „Klee Wyck“ inzwischen auf Deutsch erschienen ist, lassen sich bei einer gezielten Suche aber auch einige Kommentare und Beiträge zu Emily Carrs Schreiben über die Natur finden

In den 21 Texten des Buches beschreibt sie einzelne Dörfer oder auch Personen. Es ist beeindruckend zu sehen, mit wie einfachen Mitteln Emily Carr ein Bild entstehen lässt. Jeder zweite, dritte Satz lässt sich anstreichen, weil er in knappen aber nie kargen Worten einen ganzen Absatz an Gefühls- und Landschaftsbeschreibung zusammenfasst. Keine Heldenreise. Kein konfliktbeladener Spannungsbogen. Stattdessen wenige Worte und klare Sätze, die ein plastisches Bild der Landschaft oder eines Dorfes erscheinen lassen. Emily Carr selbst sagt über ihr Schreiben: „Ich kannte keine Regeln fürs Schreiben. Ich stellte zwei für mich selbst auf. Sie entsprachen in etwa meinen Prinzipien beim Malen: Komm so direkt zum Punkt wie möglich; verwende nie ein großes Wort, wenn ein kleines genügt.“ [4]

In Ucluelet, einer der wenigen längeren Geschichten, schildert Emily Carr wie sie als Fünfzehnjährige mehrere Tage in einem Missionshaus und dem nahegelegenen Dorf der First Nations verbringt. In wenigen kurzen, klaren Sätzen steckt alles, was nötig ist, die Missions-Station im Kopf des Lesers entstehen zu lassen:
„Während wir auf das Missionshaus zu paddelten, wirkte es wie von Dunkelheit erfüllt. (…) Es stand nur knapp oberhalb der Flutlinie, davor lag das Meer, dahinter der Wald. (…) „Die Missionarinnen warteten bereits an der Tür und aus dem Raum hinter ihnen drang der Geruch von gekochtem Fisch.“ [5]

Emily Carr schreibt dabei sehr neutral. Die Bilder entstehen beim Lesen erst in meinem Kopf. Der deutliche Grusel davor, das Missionshaus auch nur zu betreten und den im Gegensatz dazu freundlichen Blick auf das benachbarte Dorf der First Nations. Schon bevor ich als Leser das erste Mal dort ankomme, habe ich den Eindruck, es zu kennen. Und das ordentliche Leben der Missionarinnen wirkt viel trostloser als die schmutzige Armut der Ureinwohner.

Carrs Stärke ist die gemeinsame Betrachtung von Mensch und Natur. Mensch- und Naturbeschreibung ergänzen einander. Von beiden Seiten erfährt man auch etwas über das jeweils andere:

„Die Häuser und die Menschen glichen einander. Wind, Regen, Wald und Meer hatten alle gleich behandelt. Häuser wie Menschen waren gut gewässert, aber auch im Sonnenschein getränkt.“
„Das Rauschen des Meeres versuchte das Schnurren seiner Säge zu übertönen.“
„Das Knirschen des Kanus auf den Kieseln warnte die Stille, dass wir kommen und sie brechen würden.“

Das mag manchmal etwas pathetisch klingen. Es ist die Beschreibung, wie sehr alles miteinander in Verbindung steht und miteinander kommuniziert. Hier sind Menschen, Tiere und Dinge Teil der Natur – oder auch nicht, wie die Missionarinnen, die sich zwar in Gottes Auftrag wähnen, aber Gottes Natur völlig fremd gegenüberstehen.

In den verlassenen Siedlungen reicht Emily Carr oft die Schilderung ihrer Unterkunft aus, um einen Eindruck der gesamten Siedlung zu bekommen. Es ist gruselig und malerisch in einem, wenn das Haus bereits von Unkraut und jungen Bäumen überwuchert ist, es durchs Dach in die Feuerstelle regnet oder eine Unterkunft so schauderhaft ist, dass nicht einmal Moskitos dort summen.

Ein Kommentar der Autorin zeigt mit welcher Grundeinstellung sie über die First Nations schreibt:
„Es muss die Indianer fürchterlich schmerzen, wenn ihnen die Dinge, an die sie immer geglaubt haben, aus den Händen und Armen gerissen werden und darauf herumgetrampelt wird. In unserem Inneren halten wir alle etwas in den Armen. Das Meer und die Luft umarmen die verstreuten Schreie der Seevögel.“

Klee Wyck von Emily Carr: Ein behutsames Stück Nature Writing über ihre Begegnungen mit den First Nations und deren verlorengehenden Riten auf Haida Gwaii und Vancuver Island.


[1] „Klee Wyck“ ist der Titel der kanadischen Ausgabe. Die deutsche Übersetzung enthält den erklärenden Zusatz „Die, die lacht“.
Auf Deutsch ist bisher nur dieses eine Buch von ihr erschienen. Auf Englisch gibt es eine Reihe weiterer Bücher. Unter anderem Geschichten aus ihrer Kindheit „The book of small“, eine Autobiographie „Growing Pains“ sowie Erzählungen über Menschen und Tiere „The Heart of a Peacock“. Alle im Verlag Douglas & McIntyre, Vancouver, Kanada.

[2] Sowohl die 2003 überarbeitete englischsprachige Version des kanadischen Verlags Douglas & McIntyre, als auch die 2020 im Verlag Das kulturelle Gedächtnis erschienene deutsche Übersetzung verwenden durchgehend die Begriffe Indian / Indianer.

[3] Britsisch Kolumbien: Westlicher Bundesstaat Kanadas. Benannt nach dem Fluss Columbia.

[4] Emily Carr in ihrer Autobiographie „Growing Pains“.

[5] Alle Zitate nach „Klee Wyck – Die die lacht“, Verlag Das kulturelle Gedächtnis. 1. Auflage 2020.


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